Meine Klientin (Elisabeth) ist Mitte Dreißig, berufstätig und hat ein zweijähriges Mädchen. Am gestrigen Abend wollte das Mädchen unbedingt von ihrer Mutter ins Bett gebracht werden. Der Vater war heute nicht der "passende" Geschichtenerzähler. Obwohl Elisabeth in der Zeit, in der ihr Mann das Kind ins Bett bringen sollte, Arbeit im Haushalt und einige andere dringende Dinge erledigen wollte, gab sie dem Wunsch der Kleinen nach.
"Es war wirklich schön. Wir haben 4 Bücher gelesen und die Kleine hat sich an mich gekuschelt. Dann ist mir der Gedanken an die chaotische Küche gekommen, an die wichtigen Dinge, die es zu erledigen gilt und für die ich in den nächsten Tagen keine Zeit mehr haben werde. Und ich wollte doch noch eine halbe Stunde in Ruhe auf dem Sofa liegen."
Das hat Elisabeth gesagt und danach eingeräumt, dass mit diesem kurzen Gedankenblitz ihre Ruhe beim Vorlesen verschwunden war. Sie wurde unruhig und hat dann mit etwas zu viel Ungeduld das abendliche Vorlesen beendet. Beim Verlassen des Kinderzimmers hat sie dann noch ihren Mann ungeduldig angefahren, dass sie nun erst zu ihrer Arbeit kommt.
Elisabeth ist bei mir zur psychologischen Beratung. Sie hat in dieser Sitzung mit mir über den Stress gesprochen - ihren Stress. Sie merkt immer wieder, dass der Stress in ihrem Leben nicht vom Außen kommt, sondern viel mehr in ihrem Inneren entsteht. Das obige Beispiel ist ihr eingefallen, als ich ihr von inneren Antreibern (Stressverstärkern) erzählt habe.
Elisabeth möchte verstehen, was sie so antreibt und so haben wir lange und ausführlich über Stressverstärker in uns gesprochen. Antreiber, die wir aus unserer Kindheit übernommen haben und die bis heute - egal wie alt wir sind - aus unserem Unterbewussten wirken. Unser Leben quasi aus der Tiefe steuern.
Das Gespräch mit meiner Klientin und vor allem Elisabeths Interesse an der Theorie der Stressverstärker hat mich auf die Idee zu diesem Beitrag gebracht. Vielleicht erkennen Sie für sich auch, wie innere Antreiber Ihren Stress auslösen und/oder verstärken.
Stress: Stressfaktoren und ihre Wurzeln
Persönliche Motive, Ziele sowie tief verankerte Normen wirken oft als innere Ansprüche, die Stress verursachen oder verstärken. Diese inneren "Sollvorgaben" beeinflussen, wie wir alltägliche Situationen und Anforderungen bewerten.
Typisch für solche stressverstärkenden Einstellungen ist ein „Ich muss“-Denken.
Versuchen Sie mal: Ich möchte ...
Motive, Ziele oder verinnerlichte Normen werden dabei zu unverzichtbaren Forderungen erhoben, deren Erfüllung als entscheidend für das eigene Wohlbefinden und Selbstwertgefühl wahrgenommen werden.
Stressverstärker sind im Grunde eine Übertreibung absolut natürlicher menschlicher Bedürfnisse.
Im Folgenden stelle ich Ihnen fünf verbreitete persönliche Stressverstärker vor.
Sei perfekt!
Wenn Sie diesen inneren Antreiber verinnerlicht haben, dann ruft Ihnen Ihr Verstand vermutlich folgende Sätze zu:
Ich darf keine Fehler machen
Ich muss alles richtig machen
Ich muss alles erledigen/schaffen
Ich muss meinem Unternehmen jederzeit zur Verfügung stehen
Fehler zu machen ist das Schlimmste, was passieren kann
Jeder muss sich zu 100 Prozent auf mich verlassen können
Hinter diesem Stressverstärker verbirgt sich das Leistungsmotiv – der Wunsch, durch gute Leistungen Erfolg und Selbstbestätigung zu erfahren. Leistungsmotivierte Menschen streben danach, Dinge gut, besser oder idealerweise perfekt zu machen. Wenn dieses Bedürfnis jedoch überhandnimmt und zur unverzichtbaren Anforderung wird, entsteht eine erhöhte Anfälligkeit für Stress, besonders in Situationen, in denen Misserfolge, Fehler oder das Scheitern drohen. Perfektionistisches Verhalten zielt darauf ab, solche Situationen um jeden Preis zu vermeiden.
Das eigentliche Problem liegt nicht darin, nach Verbesserung oder Höchstleistungen zu streben, denn es gibt durchaus Bereiche, in denen Präzision und Perfektion erforderlich sind. Kritisch wird es jedoch, wenn dieser Perfektionismus auf alle Lebensbereiche und jede berufliche oder private Tätigkeit ausgeweitet wird. Dies führt auf Dauer zu Überforderung und schließlich zu Erschöpfung.
Versuchen Sie mal: Auch ich darf Fehler machen!
Behalte die Kontrolle!
Wenn Sie diesen inneren Antreiber verinnerlicht haben, dann ruft Ihnen Ihr Verstand vermutlich folgende Sätze zu:
Ich muss alles unter Kontrolle haben
Ich kann es nicht leiden, wenn Dinge nicht so laufen, wie ich es geplant habe
Bei Entscheidungen muss ich absolut sicher sein
Ich muss alle Risiken abwägen
Es ist äußerst unangenehm, wenn ich nicht weiß, was mich erwartet
Hinter diesem Stressverstärker steht das Bedürfnis nach Kontrolle, das den Wunsch nach Sicherheit im eigenen Leben umfasst. Wenn dieses Bedürfnis jedoch überhandnimmt und zu einer zwingenden Anforderung wird, führt es zu einer erhöhten Anfälligkeit für Stress, insbesondere in Situationen, in denen der Verlust von Kontrolle, Fehlentscheidungen oder Risiken drohen. Um solchen Situationen zu entkommen, versuchen Menschen mit stark ausgeprägtem Kontrollbedürfnis, möglichst alles selbst zu regeln. Sie haben Schwierigkeiten damit, Aufgaben abzugeben, und machen sich ständig Gedanken über potenzielle Risiken und Gefahren. Oft kostet es sie viel Zeit und Energie, Entscheidungen zu fällen, da sie befürchten, wichtige Aspekte zu übersehen.
Dieser Stressverstärker kann langfristig zu Selbstüberforderung und Erschöpfung führen, weil es unmöglich ist, absolute Sicherheit und Kontrolle zu erreichen. Besonders in Zeiten wachsender Unsicherheit ist es wichtig, das Bedürfnis nach Sicherheit mit Mut zu kalkulierten Risiken, Loslassen und Vertrauen in Einklang zu bringen.
Versuchen Sie mal: Ich darf loslassen!
Sei beliebt!
Wenn Sie diesen inneren Antreiber verinnerlicht haben, dann ruft Ihnen Ihr Verstand vermutlich folgende Sätze zu:
Mir ist wichtig, dass alle mich mögen
Ich möchte niemanden enttäuschen
Es ist furchtbar, wenn jemand wütend auf mich ist
Ich will mit allen gut auskommen
Kritik trifft mich hart
Hinter diesem Stressverstärker steht das Bindungsmotiv – der Wunsch nach Zugehörigkeit, Akzeptanz und Liebe. Wenn dieses Motiv jedoch überbetont wird und zur zwingenden Anforderung wird, führt es zu einer erhöhten Anfälligkeit für Stress, insbesondere in Situationen, in denen Ablehnung, Kritik oder Zurückweisung drohen. Es wird als besonders belastend empfunden, eigene Interessen vertreten oder andere enttäuschen zu müssen, sowie Konflikte und Meinungsverschiedenheiten mit anderen zu haben. Solche Situationen werden unbedingt vermieden oder entschärft, indem man eigene Bedürfnisse zurückstellt und versucht, es allen recht zu machen. Eine übermäßige Hilfsbereitschaft kann ebenfalls ein Ausdruck des Wunsches sein, beliebt zu sein.
Es gibt zwar Situationen, in denen es sinnvoll ist, Kompromisse einzugehen, nachzugeben oder anderen zu helfen. Das Problem entsteht jedoch, wenn diese Neigung übertrieben wird und zu einer „Überdosis des Guten“ führt, was auf lange Sicht in Selbstüberforderung und Burnout münden kann.
Versuchen Sie mal: Ich darf „nein“ sagen!
Halte durch!
Wenn Sie diesen inneren Antreiber verinnerlicht haben, dann ruft Ihnen Ihr Verstand vermutlich folgende Sätze zu:
Aufgeben gibt's nicht
Man muss streng mit sich sein
Ich muss durchhalten/es schaffen
Wenn ich mich anstrenge, schaffe ich es auch
Ich muss ... (Belastung, Ängste, Druck, Schmerzen usw.) aushalten
Hinter diesem Stressverstärker steht das grundlegende Streben nach Freude und die Vermeidung von Unannehmlichkeiten. Im Gegensatz zu anderen Stressfaktoren wird dieses Bedürfnis hier jedoch nicht ausreichend ausgeprägt, sondern vielmehr stark unterdrückt. Man geht zu hart mit sich selbst um. Bei der Verwirklichung von Zielen gilt das Durchhalten als oberste Regel. Dies kann dazu führen, dass man sich keine Pausen gönnt, eigene Erholungsbedürfnisse ignoriert oder verleugnet, an unrealistischen Zielen oder unlösbaren Aufgaben festhält und sich dadurch langfristig in eine Erschöpfung treibt.
Es ist wichtig und notwendig, das Streben nach Lust zu überwinden und sich auch unangenehmen Aufgaben zu stellen, um seine Ziele zu erreichen. Problematisch wird es jedoch, wenn dies übertrieben wird – ein „Zuviel des Guten“, das es einem nicht erlaubt, sich hin und wieder auszuruhen oder sich unangenehmen Dingen zu entziehen.
Versuchen Sie mal: Ich sorge gut für mich!
Sei unabhängig!
Wenn Sie diesen inneren Antreiber verinnerlicht haben, dann ruft Ihnen Ihr Verstand vermutlich folgende Sätze zu:
Ich mache am liebsten alles selbst - ich schaffe das allein
Starke Menschen benötigen keine Unterstützung
Wenn ich mich auf andere verlasse, bin ich verlassen
Ich darf keine Hilfe annehmen
Es ist fürchterlich, auf andere angewiesen zu sein
Hinter diesem Stressverstärker steht das Bedürfnis nach Autonomie, also der Wunsch nach persönlicher Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Wenn dieses Bedürfnis jedoch übermäßig stark ausgeprägt ist und zu einer zwingenden Forderung wird, kann es zu einer erhöhten Stressanfälligkeit führen, insbesondere in Situationen, in denen man von anderen abhängig ist oder Schwächen zeigt. Personen mit einem stark ausgeprägten Streben nach Autonomie erledigen ihre Aufgaben am liebsten alleine und neigen dazu, ihre Sorgen, Ängste und Probleme mit sich selbst auszumachen. Es fällt ihnen schwer, andere um Unterstützung zu bitten oder sich jemandem anzuvertrauen. Sie versuchen, das Bild von Stärke und Unabhängigkeit gegenüber sich selbst und anderen aufrechtzuerhalten. Dies kann langfristig leicht in Selbstüberforderung und schließlich in Erschöpfung münden.
Stress entsteht nicht durch das grundsätzlich gesunde Streben nach Unabhängigkeit, sondern durch dessen übertriebene Ausprägung, die es unmöglich macht, sich gelegentlich auf andere zu stützen oder Hilfe anzunehmen.
Versuchen Sie mal: Ich darf auch Schwächen zeigen!
Am Ende unserer Sitzung sind Elisabeth und ich nochmal auf das Vorlesen am Bett der kleinen Tochter zurückgekommen. Der Moment, als die Tochter in Elisabeths Armen liegt und sie mit großen Augen anschaut und sagt: "Bitte zudecken" rührt Elisabeth jetzt zu Tränen. "Sie ist mein ein-und-alles. Diese Zeit, diese besonderen Momente bekomme ich nie wieder. Sie ist so ein wunderbares Geschöpf und ich lasse mir den Zauber des Moments von einer chaotischen Küche verderben! Und danach maule ich meinen Mann auch noch an. Der kann ja nichts dafür!"
Wir haben den Zauber des Moments und das wunderbare Gefühl der Liebe für ihre Tochter zum Abschluss der Sitzung noch einmal aufsteigen lassen. Elisabeth hat diesen mit einem Anker (NLP) in ihrem System verankert, sodass sie ihn sich jederzeit wieder abrufen kann.
Es ist kein einfacher Weg den eigenen Stressverstärkern auf die Schliche zu kommen. Ebenso wird mit der bloßen Analyse nicht auf einmal alles anders. Aber der erste Schritt ist getan. Wer erkennt und achtsam wahrnimmt, kann die Veränderung herbeiführen und damit das Steuer seines Lebens von den inneren Antreibern zurückholen.
Erkennen Sie sich wieder? Ruft Ihnen Ihr Verstand auch immer wieder Aufforderungen oder Befehle zu und setzt Sie damit unter Druck? Geht es Ihnen wie Elisabeth, die zwar feststellt, dass der Stress aus dem Inneren kommt, allein aber schlicht überfordert ist? Dann machen Sie es wie meine Klientin, vereinbaren Sie einen Termin für ein kostenfreies Vorgespräch und lernen Sie mich kennen. Danach können Sie in Ruhe überlegen, ob Sie mit mir gemeinsam hinschauen möchten.
Im Rahmen der psychologischen Beratung prüfen wir, wo Ihre inneren Antreiber - Ihre persönlichen Stressverstärker - liegen und definieren Maßnahmen, wie wir diese entschärfen/entschleunigen.
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